Mitarbeiter verbringen etwa 22% ihrer Arbeitszeit mit wiederkehrenden, manuellen Aufgaben [1]. Der Marketingabteilung fehlt ein wichtiges Dashboard, die Produktmanagerin braucht dringend eine Datenanalyse, und der Vertrieb hätte gerne eine automatische Benachrichtigung bei bestimmten Kundenereignissen.
Das Problem ist selten der Schwierigkeitsgrad dieser Aufgaben, sondern die Zeit, die Software-Entwickler benötigen, um die Anforderungen zu verstehen. Dieses Einarbeiten kostet wertvolle Ressourcen in ohnehin unterbesetzten IT-Abteilungen. Die Fachexperten warten zu lange auf eine Lösung und die Geschwindigkeit der gesamten Organisation leidet.
Mit KI verändert sich diese Situation radikal zum Positiven, wie in den folgenden Beispielen zu sehen ist.
Finanzabteilung: Automatisierte Betrugserkennung Die Finanzabteilung möchte verdächtige Zahlungsmuster erkennen und entsprechend benachrichtigt werden.
Lösung im KI-nativen Unternehmen: Die Finanzanalystin definiert selbstständig die Betrugsmuster (z.B. "drei Bestellungen vom selben Kunden innerhalb von 5 Minuten mit unterschiedlichen Kreditkarten") und erstellt mit KI-Unterstützung:
Eine Datenbank-Abfrage, die solche Muster in den Transaktionsdaten erkennt Transformiert diese Abfrage mittels eines internen Tools in einen API-Endpunkt Richtet in einer Low-Code-Plattform wie n8n einen Workflow ein, der diesen Endpunkt regelmäßig abfragt und Alarme auslöst Die Ergebnisse des KI-Systems werden mit der Fachexpertise der Analystin bewertet und getestet Zeitaufwand: Ein Arbeitstag statt früher ein Ticket an die IT und mindestens 3-4 Wochen Wartezeit.
Marketingabteilung: Kundensegmentierung und personalisierte Kommunikation Das Marketingteam möchte Kunden basierend auf Verhaltensmustern segmentieren und abhängig vom Verhalten unterschiedliche E-Mails senden.
Lösung im KI-nativen Unternehmen: Die Marketingmanagerin:
Entwickelt mit KI-Unterstützung ein Skript, das Kundendaten aus verschiedenen Quellen zusammenführt Nutzt ein vorgefertigtes KI-Klassifizierungsmodell, um Kunden in Segmente einzuteilen Konfiguriert mit einer Low-Code-Plattform (z.B. n8n, zapier, make.com ) automatisierte E-Mail-Sequenzen für jedes Segment Richtet ein Dashboard ein, das die Performance der Segmente in Echtzeit überwacht und Auffälligkeiten sofort eskaliert Zeitaufwand: 2-3 Tage statt mehrerer Monate komplexem Projekt mit Data Engineers und Entwicklern.
Produktmanagement: Automatische Nutzerfeedback-Analyse Das Produktteam erhält täglich Hunderte von Feedback-Einträgen aus verschiedenen Quellen (App Store, Kundenservice, Umfragen).
Lösung im KI-nativen Unternehmen: Der Produktmanager:
Baut mit KI-Unterstützung ein Script, das die Bewertungen und Support-E-Mails automatisiert auf Feedback scannt. Entwickelt mit KI einen Klassifizierungsalgorithmus, der Feedback nach Themen, Dringlichkeit und Stimmung kategorisiert (Sentimentanalyse) Erstellt ein automatisches Alerting-System für kritische Probleme Baut ein Live-Dashboard zur Visualisierung der Feedback-Trends Zeitaufwand: Eine Woche für die Grundimplementierung statt eines mehrmonatigen IT-Projekts mit manueller Kategorisierung oder teuren Spezialtools.
Die strategische Neuausrichtung der IT-Abteilung Diese Entwicklung zwingt IT-Abteilungen zu einer fundamentalen Neuausrichtung ihrer Rolle im Unternehmen. Sie müssen Ihre IT-Abteilungen in Richtung einer plattformorientierten Organisation umbauen.
Statt als reaktive Problemlösungsinstanz zu fungieren, werden IT-Abteilungen zu strategischen Plattformanbietern. Ihre Hauptaufgabe: Eine sichere Infrastruktur bereitstellen, mit der jede Mitarbeiterin selbstständig technische Lösungen entwickeln kann.
Stellen Sie sich Ihre IT als internen PaaS-Provider (Platform as a Service) vor, der für alle Fachabteilungen die nötige Infrastruktur bereitstellt. Diese neue Rolle umfasst:
Entwicklung einer sicheren Plattform-Architektur mit abgestuften ZugriffsrechtenBereitstellung von Entwicklungsumgebungen , in denen Fehler die in den KI-generierten Applikationen auftreten können, minimale Auswirkungen habenEtablierung von Governance-Prozessen für selbstentwickelte KI-LösungenEin übergeordnetes Prinzip ist dabei zentral: Wie bei allen KI-Lösungen müssen wir akzeptieren, dass Fehler auftreten werden. KI-generierter Code kann Sicherheitslücken enthalten, ineffizient sein oder schlicht nicht wie beabsichtigt funktionieren.
Daher muss die Plattform - ähnlich wie ein Clouddienst mit externen Kunden - so konzipiert sein, dass dem KI-generierten-Code aus den Fachabteilungen prinzipiell nicht blind vertraut wird. Die Infrastruktur sollte Fehler abfangen, Schadenspotential minimieren und klare Prüfmechanismen implementieren.
Nur so können schwerwiegende Probleme vermieden werden, etwa wenn eine Controllerin versehentlich sensible Daten durch fehlerhaften KI-Code löschen würde.
Mindestanforderungen an die Plattform:
Sichere Zugänge zu den Unternehmensdaten mit den richtigen Berechtigungen und DatenschutzkontrollenInterne KI-Services für Standardaufgaben wie Klassifikation oder TexterstellungDeployment-Plattformen , auf denen KI generierter Programmcode sicher ausgeführt werden kannVorlagen und Templates für häufige AnwendungsfälleÜberwachungs- und Alarmierungsmechanismen , die sicherstellen, dass selbstgebaute Lösungen zuverlässig laufenWorkflow-Engines wie n8n, die ein Verknüpfen der einzelnen Code-Bestandteile ermöglichenDie psychologische Hürde überwinden "Ich bin nicht technisch genug." "Ich kann nicht programmieren." "Das ist etwas für die IT."
Diese Sätze hört man überall im Unternehmen. Sie sind das Ergebnis jahrzehntelanger Konditionierung — und die größte Hürde auf dem Weg zum KI-nativen Unternehmen.
Zukunftsorientierte Unternehmen investieren deshalb massiv in das Verständnis von KI. Nicht nur, wie man die Tools bedient, sondern wie sie funktionieren. Dieses Grundverständnis macht den Unterschied zwischen passiven KI-Konsumenten und aktiven KI-Nutzern.
Die neue technische Arbeitsteilung In diesem transformierten Umfeld entsteht eine völlig neue Arbeitsteilung:
Professionelle Software-Entwickler (eine kleinere Gruppe als heute) konzentrieren sich auf komplexe Systeme und PlattformenKI-Fachanwender (die große Mehrheit) lösen ihre technischen Probleme selbst — mit KI-Unterstützung und den von der IT bereitgestellten BausteinenTraditionelle Nicht-Techniker (eine schrumpfende Minderheit) benötigen weiterhin direkte UnterstützungDiese Neuverteilung führt nicht zur Obsoleszenz der IT, sondern zu ihrer strategischen Aufwertung. Die wertvollsten Entwickler sind diejenigen, die andere befähigen können.
Der Weg zum KI-nativen Unternehmen Wie beginnt man diesen Wandel? Mit drei konkreten Schritten:
Investieren Sie in echte KI-Kompetenz. Nicht nur oberflächliches Tool-Wissen, sondern ein echtes Verständnis der Möglichkeiten und Grenzen. Schaffen Sie interne Lernformate wie eine "KI-Mittagspause" oder externe Workshops.Identifizieren Sie die richtigen Plattform-Komponenten. Welche grundlegenden Bausteine benötigen Ihre Fachabteilungen, um selbstständig arbeiten zu können? Sichere Datenbankzugänge? API-Schnittstellen? Automatisierungsplattformen?Schaffen Sie eine Kultur der technischen Selbstermächtigung. Führungskräfte müssen vorleben, dass "technisch sein" keine Spezialfähigkeit, sondern eine Grundkompetenz ist.Unternehmen, die diese Transformation aktiv gestalten, schaffen einen strukturellen Wettbewerbsvorteil – nicht nur durch Effizienz, sondern durch organisationale Agilität. Laut dem Deloitte Digital Transformation Index 2023 [2] erreichen produktorientierte IT-Organisationen ihre Ziele deutlich schneller: Business Units mit eigener digitaler Strategie schlossen Projekte im Schnitt rund 35 % schneller ab als traditionelle, zentral gelenkte IT-Teams.
Das zentralisierte IT-Modell mit seinen Tickets, Warteschlangen und Abhängigkeiten weicht einer technischen Demokratisierung, in der Probleme dort gelöst werden, wo sie entstehen.
Die Frage ist nicht, ob diese Transformation stattfindet. Die Frage ist, ob Sie sie proaktiv anführen oder von ihr überrollt werden.
Quellen:
[1] IDC-Analyse "Bridging the Information Worker Productivity Gap" (2012) https://warekennis.nl/wp-content/uploads/2013/11/bridging-the-information-worker-productivity-gap.pdf
[2] Deloitte Digital Transformation Index 2023 https://www.deloitte.com/nl/en/services/consulting/perspectives/digital-change-capabilities-can-make-or-break-a-digital-transformation.html
Dieser Artikel ist auch in der Mai 2025 Ausgabe des mAIghty Waves AI Magazins veröffentlicht.